Schwierig, das möglichst kurz und konkret zu beschreiben... Ich (w., 28) hatte eine jahrelange Depression, die sich mit der Zeit verschlimmert hat. Wann sie genau begann, und weshalb, kann ich rückblickend nicht so genau sagen. Es fing sicher schon im Jugendalter an... Ich bin mit Jungs aufgewachsen und war sicher nicht typisch "mädchenhaft", hatte zudem eher starke Akne, war folglich nicht eben hübsch anzusehen, hatte zwar viele männliche Kameraden, aber eben keinen "Freunde" - die hatten die "typischen" Mädels. Ich war eine Aussenseiterin, auch als Kind von akademischen Eltern unter Kindern mit nicht-akademischem familiärem Hintergrund. Klar, da wurde man als Streberin abgestempelt. Also soziales Ausgeschlossensein, Probleme mit dem eigenen Körpergefühl, Komplexe, vom anderen Geschlecht verschmäht zu werden... das waren sicher mit Gründe für die Depression. Später, an der Uni, wurde sowohl das mit der Akne besser, als auch was Freundschaften und das Umfeld betraf... Ich war eigentlich keine Aussenseiterin mehr, aber irgendwie hatte sich die soziale Unsicherheit, das Minderwertigkeitsgefühl dann halt schon stark eingebrannt. Da half es dann zuerst auch nichts, dass ich von Männern begehrt wurde - sogar sehr, wie ich rückblickend sagen kann. Oder dass ich Beziehungen hatte - ich sah immer bloss das Scheitern dieser Beziehungen als entscheidend, nie die Tatsache, dass ich überhaupt Beziehungen hatte... Ich dachte immer, es liege an mir, ich mache was falsch, sei nicht hübsch, nicht liebenswert genug, hätte einfach immer Pech mit meiner Partnerwahl, der "Chemie", was weiss ich... Zudem habe ich auch heute noch ein eher überschaubares Sozialleben, keinen grossen Freundeskreis, bin gesellschaftlich wohl wenig "erfolgreich", zweifle an mir, fühle mich manchmal sehr einsam, bin in Sachen Männer und Liebe sehr ernüchtert und fatalistisch geworden... die Liebe hat es jedenfalls schwer bei mir. Die letzten zwei Jahre hatte ich starke Depressionen, bin seither in psychiatrischer Behandlung, nehme Antidepressiva und hatte auch schon zweimal einen Notfall-Psychiater nötig, weil ich mich geritzt habe...
Aber jetzt bin ich wohl über den Berg! Irgendwie habe ich es geschafft (oder bin auf dem richtigen Weg), der Depression Herrin zu werden. Vielleicht nicht für immer (eine gewisse Neigung dazu ist evtl. angeboren), aber ich weiss jetzt besser, wie einer Krise zu begegnen ist.
Also, was hat mir persönlich geholfen?
1. Klingt jetzt vielleicht ernüchternd, aber sicher war es sehr wichtig, dass ich meinen Schatten übersprungen habe und mich einem Psychiater anvertraut habe. Das wöchentliche Reden über meine Probleme und Situation - weniger ein Analysieren, als einfach ein Erzählen - hat geholfen, die eigene Situation objektiver zu sehen und sich aus dem emotionalen Teufelskreis der grübelnden Gedanken zu befreien. Das Ganze wäre aber vielleicht selbst in der Therapie nie so gut möglich gewesen ohne Medikamente. Ich nehme seit bald einem Jahr Fluoxetin und muss es einfach empfehlen. Zuerst hatte ich auch eine Hemmung davor, dachte, dass ich "abhängig" werde, nicht mehr "ich selbst" sein würde... Nun, das Gegenteil stimmt! Ich habe mich während der schlimmsten Krisen nicht mehr selber gespürt - dank dem Medikament fühle ich mich wieder "in mir zu Hause", bin fähig, überhaupt etwas an meinem Verhalten und Denken zu ändern, was wiederum positive Rückwirkungen auf meine Situation hat. Ich hoffe, dass ich bald so weit sein werde, dass ich auf das Medikament gar nicht mehr angewiesen bin, weil mein positiveres Denken und optimistischeres Selbstgefühl sich verselbstständigt haben... Dazu muss ich einfach noch sagen: Ich habe gar nicht versucht, den Grund für meine seelischen Nöte allzu genau zu analysieren. Vielleicht gibt es nämlich nicht den einen Grund. Ich hatte jedenfalls keine eigentlich traumatischen Erlebnisse in der Kindheit... Es wird ein Zusammenspiel aus sozialen Gründen, familiärem Hintergrund, äusseren Umständen gewesen sein, ein schicksalshaftes Zusammentreffen von Ursachen. Und die genetische Anfälligkeit spielt sicher eine wichtige Rolle. Ich habe die Depression ganz stark auch als organische Krankheit (Serotoninmangel) angesehen, gegen die ein Medikament eben helfen kann wie gegen einen Schnupfen...
2) Ganz fest empfehlen kann ich das Selbsthilfe-Buch des renommierten amerikanischen Psychiaters Dr. David Burns "Feeling Good". Dies zu lesen, war ein richtiges Aha-Erlebnis für mich. Depressionen haben nämlich ganz viel mit falschem Denken zu tun. So habe ich bspw. dank diesem Buch herausgefunden, dass mein Grundproblem sich zusammensetzte aus krankhafter Sucht nach Liebe und Bestätigung, aus mangelndem Selbstwertgefühl und einer falschen Anspruchshaltung an das Leben. Das Buch zeigt dann auch auf, welche Gedanken solche Gefühle hervorrufen, z.B. das Schwarz-Weiss Denken, mentales Filtern, Über- bzw. Untertreibung, Selbstbeschuldigung... Hat man sein persönliches Denkmuster erstmals erkannt (und dabei hilft dieses Buch), kann man den Anleitungen folgen und lernen, neu zu denken. Und das hilft wirklich viel, denn Emotionen entstehen durch Gedanken, durch persönliche Wertung eines Sachverhaltes. Wenn man über etwas anders denkt, fühlt man darüber auch anders. Es ist also wichtig, nicht nur dem "Bauchgefühl" zu vertrauen, sondern eben auch dem Kopf!
3) Mutig sein, immer wieder neue persönliche Barrieren überwinden. Für mich hiess das z.B., mich den Menschen gegenüber zu öffnen lernen, Vertrauen zu schenken. Den Mut haben, verletzlich zu sein, sich mit seinen Gefühlen auszuliefern. Früher wollte ich mich vor Verletzungen und Enttäuschungen schützen und habe daher wenig riskiert. Jetzt riskiere ich regelmässig etwas - eine Absage, eine Enttäuschung oder Verletzung - dafür habe ich auch immer wieder etwas gewonnen: tiefes Vertrauen, Verständnis, Zärtlichkeit, Liebesgeständnisse, die ernst gemeint sind...
4) Selbstdisziplin, so "uncool" es klingt. Sport treiben, mit Freunden abmachen, die Wohnung sauber machen, auch wenn man sich einsam, unmotiviert, nutzlos fühlt. Denn noch viel schlimmer fühlt man sich sicher, wenn man klein beigibt und sich unter die Bettdecke verkriecht. Wenn man etwas unternimmt, raus geht, etwas (und sei es noch so bescheiden) erreicht, dann hat man zumindest das Gefühl, dass man noch handlungsfähig, nicht total wertlos ist...