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  • #1

Das Buch: "Sex at Dawn" - Wer kennt es?

Ich lese gerade ein hochinteressantes Buch, "Sex at Dawn: The Prehistoric Origins of Modern Sexuality" von Dr. Christopher Ryan und Cacilda Jethá (Leider gibt es das Buch noch nicht auf Deutsch, aber für diejenigen, die der Bildungselite und nicht nur der Geldelite angehören, sollte dies kein Problem sein). Das Buch ist zunächst eine Sichtung des Stands der Forschung zu dem Sozialgefüge der Menschen vor dem Beginn des Ackerbaus. Genetisch waren diese Menschen uns praktisch gleich-die Zeit zwischen damals und heute ist ein Wimpernschlag im Vergleich zu der restlichen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In ihrem Buch zeigen sie auf, wie diese Menschen damals zusammen gelebt und wie sie geliebt haben, wie also unsere genetische Veranlagung zu bestimmten Verhaltensmustern ist, die durch kulturell begründete Vereinbarungen überdeckt werden. Damit können sie erklären, welche inneren Konflikte in uns Menschen toben und können eine plausible Erklärung liefern, warum unsere Ehen, Beziehungen, Gefühle uns so viele Probleme bereiten; lese ich mir die Themen in diesem Forum durch, erkenne ich wieder und wieder die gleichen Grundmuster, die auch im Buch zur Sprache kommen.

Bei mir hat dieses Buch durchaus Spuren hinterlassen in der Wahrnehmung zwischenmenschlicher Liebesbeziehungen-und ihrem Scheitern. Auch wenn die Autoren keine Lösung für die angesprochenen Fragen bieten (zumindest in den Kapiteln, die ich bisher gelesen habe), stellen sie doch das bisherige Weltbild infrage und konnten doch eine Neubewertung bestimmter Verhaltensmuster initiieren.

Wer von Euch hat es auch gelesen? Wie ist es Euch damit ergangen, hat sich Eure Sicht auf die Welt, das Leben und die Liebe verändert? Oder lehnt sich etwas in Euch gegen die Thesen des Buches auf?

Nebenbemerkung: Ich lebe inzwischen in einer glücklichen Beziehung, muss also kein Verhalten erklären oder sonst etwas. Trotzdem hat dieses Buch zu einer gewissen Entspanntheit bei mir geführt, weil ich etwas mehr verstehe, was um mich herum passiert.
 
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  • #2
Könntest Du mal die Grundthesen aufführen?
Ich habe es nicht gelesen, es klingt aber spannend.
Da Du offensichtlich auch zur Bildungselite gehörst ;-), ist die Zusammenfassung des Buches für Dich sicher kein Problem.
 
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  • #3
Ich muss kein Buch gelesen zu haben, um zu wissen, dass Toleranz, Akzeptanz und Offenheit das A und O ist, um eine langjährige Beziehung zu führen.
Der Partner ist nicht men Eigentum, jeder ist sein eigenes Individuum. Mein Partner ist ein freier Mensch und darf alles tun und lassen, was er will. Und wenn er 5 weitere Partner neben mir haben will, ist das auch ok. Ich habe kein Recht, jemand anderem zu erklären, wie er zu leben hat. Und wenn man das verstanden hat, hat man alles verstanden und kann entspannt und glücklich leben.
 
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  • #4
Ich hab das Buch zwar nicht gelesen, weiß aber in etwa, worum es geht. Die Autoren wollen damit heutige Standard-Auffassungen (vor allem aus dem Bereich der Evolutionspsychologie) hinterfragen. Das bedeutet ja auch gleichzeitig, dass die meisten Wissenschaftler nicht ihrer Meinung sind. Deswegen würde ich solche Bücher auch mit Vorsicht genießen, sie sind oft ideologisch geprägt und tendenziös mit selektiver Quellenauswahl usw. Vor allem eine natürliche menschliche Veranlagung zur Monogamie und ein prinzipieller Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sexualität werden gerne mal in Frage gestellt, weil es einigen nicht in ihr Weltbild passt.
 
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  • #5
Der FS: Da ich selbst erst ein paar Kapitel gelesen habe, möchte ich mir auch nicht anmaßen, schon die Grundthesen zusammenzufassen...aber soweit ich es gelesen habe:
- Das menschliche Verhalten besteht zu einem gewissen Teil aus einer genetisch vorgeprägten Komponente und einem kulturellen Aufsatz.
- Um den ersten Teil zu verstehen, müssen wir ein wenig in der Zeit zurückgehen, und zwar so weit, wie die damaligen Menschen uns genetisch praktisch gleich sind
- Um den zweiten Teil zu verstehen, müssen wir uns klar werden, warum mit dem Aufkommen der Landwirtschaft die genetisch vorgegebenen Verhaltensweisen nicht mehr zielführend waren und neue, oft gegensätzliche Vereinbarungen nötig waren.
- Wenn wir nun verstehen, worin die beiden Verhaltensweisen abweichen, können wir auch verstehen, wo innere Konflikte in uns schwelen, die wir auf Dauer nur mit Disziplin und gesellschaftlichem Druck aufrecht erhalten können.
- Dabei sind Zeitgeist und eigene Erfahrungen schlechte Ratgeber. In der Retrospektive und mit zusätzlichem Datenmaterial erkennt man oft die Verblendung, vor der auch Genies wie Charles Darwin nicht gefeit sind.

Angewandt auf Beziehungen (eigentlich hätte der Post im Beziehungs-Forum erscheinen sollen...): Das Standardmodell lautet: Der Mann sucht sich eine (oder gerne auch mehrere) möglichst junge, attraktive und damit fruchtbare Frau(en), damit er seine Gene möglichst oft weitergeben kann. Die Frau dagegen einen starken Beschützer, der ihr dabei zur Seite steht, die Kinder großzuziehen, und über ausreichend Ressourcen dafür verfügt. Der Mann kontrolliert eifersüchtig, dass die Frau ihm keine Kuckuckskinder ins Nest legt, während sie darauf bedacht ist, dass seine Ressourcen nicht mit anderen Frauen/Kindern zu teilen sind.

Dieses Modell stellen die Autoren in Frage. Sie gehen im Gegenteil davon aus, dass dieses Modell erst mit dem Aufkommen der Landwirtschaft sinnvoll geworden ist. Während bei früheren Kulturen das sofortige Teilen im Vordergrund stand, erfordert eine agrarische Kultur langfristigen Besitz und damit auch Erbfolgen. Besitzen geht über Teilen, damit wird die Vaterschaft relevant und es wird erforderlich, Reproduktion zu kontrollieren und einzuschränken.

Sprengstoff bietet die Folge, die dies für die Familienstrukturen hatte. Innerhalb der Jäger- und Sammlerhorden war geteilte Elternschaft und Sexualität das Modell. Das Problem der Vaterschaftsungewissheit wurde erst mit der Landwirtschaft zum Problem.

Daraus wird klar, dass Eifersucht, die Idee von einer lebenslangen Zweierbeziehung, Rivalitäten um Frauen/Männer, etc., kulturell und nicht genetisch begründet sind. Dass sie der Kontrolle der Vaterschaft geschuldet sind. Indem wir uns in modernen Zeiten von Besitz und Erbfolge als bestimmenden Elementen lösen, kehren wir (als Menschheit) auch sexuell wieder zu unseren Wurzeln zurück, was zu einem ständigen Konflikt mit den bisherigen, auf Kontrolle ausgerichteten Normen führt.
 
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  • #6
Der FS: ?.. Indem wir uns in modernen Zeiten von Besitz und Erbfolge als bestimmenden Elementen lösen, kehren wir (als Menschheit) auch sexuell wieder zu unseren Wurzeln zurück, was zu einem ständigen Konflikt mit den bisherigen, auf Kontrolle ausgerichteten Normen führt.

Wenn SIE sich in "modernen Zeiten" von Besitz und Erbfolge lösen möchten, dann tun Sie das gerne - aber bitte ganz individuell. Und bitte übernehmen Sie dann auch ganz individuell die Verantwortung für die Ergebnisse, die Sie auf diese Weise erzielen werden. Und verzichten Sie darauf, andere, die womöglich erfolgreichere Modelle leben, (direkt oder auch indirekt, zum Beispiel über Transfer-Leistungen des Wohlfahrtsstaates) in die (Mit)Haftung für Ihr persönliches Wohlergehen zu nehmen...
 
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  • #7
Danke, FS, für Deine Zusammenfassung! Da kann einem schon der Kopf rauchen. Mir scheint, dieser Wandel geht einher (ist eigentlich Synonym?) mit dem Wechsel von Matriachat zu Patriachat mit all seinen Folgen? m44.
 
  • #8
Und was ist nun neu an diesen spektakulären Erkenntnissen?

Gehen die Damen und Herren auf die Quellenlage ein?
 
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  • #9
Das hört sich wirklich nicht sehr neu an......zumindest in den einschlägigen Forschungszweigen (auch den nicht-naturwissenschaftlichen) wird diese These nicht als Novum gehandelt. Das Problem bei der Rekonstruktion von Früh- und Urgeschichte ist natürlich die Quellenlage. Wir wissen einfach fast nichts über diese Epoche, besonders im Bereich des immateriellen (Beziehungen, Rituale, Strukturen, etc...). Daher sind solche Schlüsse wie "Wechsel von Matriarchat zu Patriarchat" nicht nur gewagt, sondern schlichtweg nicht haltbar.

Lest doch mal ein richtiges Fachbuch, und nicht immer diesen reißerischen pseudo-wissenschaftlichen Kram!
 
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  • #10
Ich kenne nicht das Buch, sehr wohl aber derartige Gedankengänge.

Sie befreien uns von Qual und künstlichen Schuldgefühlen, wenn wir es nicht schaffen, mit dem einmal gewählten Partner langfristig glücklich zu werden.
D.h. die serielle Monogamie oder gar die Polyamorie werden wieder als salonfähig erklärt.

Ich begegne immer mehr Menschen, die sich eine solche Freiheit in Partnerwahl und Sexualität wünschen. Und nicht selten macht erst die gewährte Entscheidungsfreiheit früher oder später Lust darauf, ganz bei dem bewährten Partner zu bleiben: Nicht nur das Neue ist ausschließlich reizvoll, sondern keinesfalls weniger das Vertraute...

Hoffentlich haben in Zukunft mehr Menschen, den Mut, zu ihren Wünschen zu stehen und auch mehr Toleranz für die gegenseitige Entwicklung.

Ich brauche genau dieses Freiheitsgefühl in einer Partnerschaft, und ich glaube, ich habe denjenigen gerade getroffen. Mit Sicherheit werde ich das nicht böswillig ausnutzen - im Gegenteil, ich werde es mit viel Respekt und Liebe würdigen.

Interessant auch der Gedanke, dass die Gemeinschaft sich für die Nachkommen alles verantwortlich fühlt, unabhängig vom Beziehungsstatus der Eltern. Sehr entspannend, diese Vorstellung.... That´s the future of humanity!
 
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  • #11
Erstens ist doch die Frage, ob die exklusive Zweierbeziehung von Mann und Frau tatsächlich vor allem aus einer materiellen Motivation heraus begründet wird.

Zweitens ist auch heute der Besitz in genetischen Beziehungen weiterhin von großer Bedeutung.
 
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  • #12
War mir schon lange bekannt. Ich möchte trotzdem eine dauerhafte monogame Beziehung.
 
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  • #13
Wenn SIE sich in "modernen Zeiten" von Besitz und Erbfolge lösen möchten, dann tun Sie das gerne - aber bitte ganz individuell. Und bitte übernehmen Sie dann auch ganz individuell die Verantwortung für die Ergebnisse, die Sie auf diese Weise erzielen werden. Und verzichten Sie darauf, andere, die womöglich erfolgreichere Modelle leben, (direkt oder auch indirekt, zum Beispiel über Transfer-Leistungen des Wohlfahrtsstaates) in die (Mit)Haftung für Ihr persönliches Wohlergehen zu nehmen...

Der FS: Ich habe mich hier eventuell missverständlich ausgedrückt. 3000 Zeichen können recht kurz sein.

Obwohl meine Eltern durchaus nicht arm sind, stehe ich durchaus auf eigenen Beinen, kann etwas zur Seite legen, verdiene inzwischen mehr als mein Vater, zahle fleißig meine Transferleistungen. Ich bräuchte also das Erbe nicht, um meine eigene Familie gründen zu können. Genauso wenig brauche ich im Prinzip sehr viel mehr als mein Bett, meine Kleider und meinen Computer (den für das EP-Forum). Trotzdem bekomme ich genug zu essen und habe ein Dach über dem Kopf.

Zu Zeiten der frühen Landwirtschaft war das anders. Wer kein Land besaß oder nicht den Hof der Eltern erben konnte, der konnte sich eben nicht sicher sein, auch im Winter genug zu essen zu haben, um seine Kinder zu ernähren. Besitz war also in dieser Art von Gesellschaft ein großer Vorteil für die Versorgung mit dem Nötigsten.
Heutzutage ist das anders, den Computer stellt mir mein Arbeitgeber, alles, was ich brauche, um mir mein täglich Brot zu verdienen, steckt zwischen meinen Ohren. Und so geht es vielen Menschen.

Übrigens sind unsere Arbeitslosigkeits- und Krankenversicherungen nur die Fortführung des steinzeitlichen Hordenlebens, des steinzeitlichen Teilens von Ressourcen, in einem wesentlich größeren Maßstab.

@8: Gerne, kannst du mir einen Titel empfehlen? Dass dieses Buch sehr populärwissenschaftlich geschrieben ist, ist mir schon klar, dass auch hier nur Indizien interpretiert werden können, das auch, aber ist darum auch falsch?
Vielleicht ist es das ja. Mir erscheint es aber, besonders im Lichte dessen, was wir hier täglich lesen können, durchaus plausibel, dass das "Standardmodell" seine Lücken hat; und auch dieses Modell stützt sich auf dieselben wenigen Indizien, und das nicht mal besonders gut.

@11: Sicher, das möchten wir alle. Aber ich habe trotzdem die Hoffnung, dass dieses Wissen dabei helfen kann, dauerhaft mit einem Partner in allen Lebensbereichen glücklich sein zu können (serielle Monogamie gilt nicht!).
 
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  • #14
Hier noch einmal die #8: Das kann ich leider nicht, denn ich bin weder Ur- und Frühhistoriker, noch Kulturanthropologe. Ich finde aber schon, dass man, sofern man wirklich in die Materie eintauchen möchte - und vor allem wenn man daraus so etwas wie "Lebensregeln" für sich ableiten möchte - zurück zur Quelle gehen sollte. Eine einfach Onlinesuche in einem (wissenschaftlichen) Bibliothekskatalog Ihrer Wahl dürfte hier weiterhelfen.

Im übrigen habe ich keinerlei Vorbehalte gegenüber populärwissenschaftlicher Lektüre. Nur lese ich selbst so etwas nicht und meine kritische Natur kann dadurch auch nicht befriedigt werden.
 
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