Wenn ich mich an meine Grundschulzeit erinnere, so war da kein einziges Elternpaar geschieden. In der 5./6. Klasse ebenfalls nicht. Als ich in der 7. Klasse war, waren 2 Elternpaare geschieden, in den Parallelklassen waren es einige (wenige) mehr. Scheidungen waren insgesamt sehr selten und fielen deshalb stark auf. Diejenigen Scheidungskinder, die ich kannte, waren allesamt eher schwach im schulischen Bereich und hatten auch die einen oder anderen persönlichen Probleme, die die anderen eher nicht hatten. Wenn man sich heutige Kinder ansieht, so scheinen ein Drittel oder gar die Hälfte Scheidungskinder zu sein.
Das Problem ist einfach, daß immer wieder die gleichen Argumente ausgetauscht werden, wenn es um Diskussionen wie diese geht. Es ist einfach wahnsinnig schwer, hier halbwegs objektiv und richtig zu beobachten und zu bewerten.
Natürlich waren viele Frauen damals finanziell abhängig von ihren Männern. Einige hatten gar keine Ausbildung, andere hatten eine, haben aber nur einige Jahre gearbeitet und spätestens beim ersten Kind aufgehört zu arbeiten. Bei mir, meinen Freunden und Klassenkameraden waren die meisten Mütter jedenfalls Hausfrauen und gingen höchstens ein paar Stunden pro Woche einem Job nach. Frauen waren damals ihren Männern finanziell sehr ausgeliefert. Dazu kam eine religiös-soziale Prägung, die Scheidung einfach nur als den allerallerletzten - aber eigentlich nicht gangbaren - Ausweg ansah und brandmarkte. Logisch, daß sich viele da einfach nicht getraut haben, sich scheiden zu lassen. Und wer kennt nicht diese Ehen, wo man sich fragt, warum diese beiden überhaupt jemals geheiratet haben bzw. warum man nicht nach Jahren des Streits oder des sich-Anschweigens einen Schlußstrich gezogen hat? Es gab natürlich auch Ehen, in denen Frauen geschlagen wurden und sie ließen sich trotzdem nicht scheiden. Ich glaube, jeder vernünftige Mensch begrüßt es, daß man in solchen Fällen heute die Scheidung durchziehen und eine solche Misere zu einem Ende führen kann - nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende...
ABER: Oft wird jedoch so getan, als wären damals alle Ehepaare nur aus finanziellen, religiösen, sozialen Gründen zusammengeblieben. Es wird teils suggeriert, quasi alle Ehen seien nur unglücklich gewesen. Und man sei nur zusammengeblieben, weil man zu wenig mutig oder ehrlich genug war, um sich scheiden zu lassen. Und da beginnt für mich das Problem. Denn ich kenne nun auch wiederum Ehen, wo ich sage: "Ja, es lohnt sich, so lange zusammenzubleiben, sich treu zu sein, sich nicht von einem potentiellen anderen Partner zu versprechen, daß dieser einen nun endlich glücklich machen wird, gute und schlechte Zeiten miteinander durchzustehen und nicht gleich beim ersten oder übernächsten Problem die Flinte ins Korn zu werfen."
Die Wahrheit bzw. der bessere Weg müßte also irgendwo dazwischenliegen. Es kann und darf nicht sein, daß man auf Gedeih und Verderb miteinander ausharrt, selbst unglücklich ist, der Partner unglücklich ist und damit letzten Endes auch die Kinder unglücklich macht. Aber andererseits gibt es doch einen Grund, warum man sich mal ineinander verliebt hat, warum man geheiratet hat, warum man zusammen Kinder bekommen hat. Vielleicht sollte man sich daran öfter erinnern und probieren, ob man nicht auf diesen Weg zurückfinden kann. Vielleicht sollte man einfach mehr Zeit und Energie darein stecken, anstatt schnell auseinander zu laufen und sich einen Neuen zu suchen. Denn mit diesem Neuen ist es meistens nicht extrem anders als mit dem bisherigen Partner auch.
Ob und wie die Psyche von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt wird und welche Folgen die vielen Scheidungen auf ihre eigene Bindungsfähigkeit und ihr Sozialverhalten haben wird, das wird sich in der Tat erst in den nächsten 10, 20 Jahren zeigen können. Ich denke schon, daß es abfärbt, wenn man eine Scheidung als mögliches Mittel miterlebt hat.
Es scheint mir in der Tat oft so, als würden viele die Probleme, die damit zusammenhängen, einfach unter den Tisch fallen lassen. Daß aber vielfältige neue Probleme entstehen, ist für mich ziemlich klar, wenn die Kinder erleben, daß ihre Eltern sich scheiden lassen. Sie müssen sich danach oft an einen neuen Partner der Mutter / Partnerin des Vaters gewöhnen, was schwer genug ist. Wenn dieser neue Partner / die neue Partnerin dann auch noch Kinder mitbringt, ist die Patchworkfamilie mit all ihren Problemen da. Es mag Fälle gehen, wo das alles wunderbar funktioniert. Das scheint aber die Ausnahme zu sein. Und diese ganzen Schwierigkeiten sind oft sehr viel gravierender als eine schwierige Situation es in der ursprünglichen Familie gewesen wäre. Ein weites Feld...