Hallo Hannibal,
prinzipiell ist ja nicht dagegen einzuwenden, wenn man andern Menschen helfen will, aber wenn das eigene Leben - und dazu gehört ja die Partnerschaft - völlig in den Hintergrund tritt, so dass es zu Beeinträchtigungen des eigenen Lebens kommt, dann geht das definitiv zu weit. Das gilt ja für die meisten psychischen/psychosomatischen Erkrankungen. Der Grat zwischen "normal" und "krank" ist sehr schmal!
Vielleicht merkt deine Bekannte allerdings (noch) gar nicht, dass sie die Balance verliert oder schon verloren hat. Aber dein Freund stellt offenbar genau das fest, dass nämlich die Arbeit und die (fremden) Menschen, denen seine Frau beruflich begegnet, ihr beider Leben bestimmen, quasi übernehmen oder sie auf dem "besten" Weg dahin sind.
Vielleicht wäre es am sinnvollsten, wenn zuerst dein Freund das Gespräch mit seiner Frau sucht, selbst wenn die Situation noch nicht völlig aus dem Ruder gelaufen ist: Meiner Erfahrung nach, sollte man nicht das Kind erst in den Brunnen fallen und dann lange strampeln lassen. Eine psychosomatische Erkrankung ist dann am besten zu überwinden, wenn sie sich noch nicht über lange Zeit ausgebreitet und festgesetzt hat (auch wenn unser Gesundheitssystem das nicht immer so sieht...).
Wenn seine Frau das einsieht, kommt es auf die konkrete Situation an: ob sie allein oder mit einer Supervision (ich weiß nicht, wie oft diese Sitzungen sind und es kommt ja auch drauf an, wie man mit dem Supervisor klarkommt) zurecht kommt, oder ob eine Therapie (ambulant oder auch ein stationärer Aufenthalt) sinnvoll ist. Im letzteren Fall: einen Therapeuten suchen und sich ruhig mehrere anschauen, denn es ist unabdingbar, dass man mit dem/der Therapeut/in gut zurecht kommt. Vielleicht gibt es auch welche, die sich auf dieses Problem spezialisiert haben (ich weiß jetzt nur von Spezialisierung auf Zwänge, Essstörungen, Borderline, aber da gibts ja sicher noch mehr).
Ich denke, dass es auch sehr wichtig ist, dass dein Freund seiner Frau klar macht, dass es ihm mit der Situation schlecht geht, aber vorsicht: keine Vorwürfe machen, denn letztlich verliert seine Frau "nur" die Balance, das Helfen, ihr Blick für Menschen ihr MItleid gehört ja offenbar zu ihr und ist ein wesentliches Persönlichkeitsmerkmal - und er liebt sie ja mit diesem Persönlichkeitszug. Wichtig ist nur, dass der nicht alles dominiert: die anderen Persönlichkeitsmerkmale wie auch das Leben mit dem Partner. Aber Vorwürfe sind absolut kontraproduktiv, sie rufen eine Verteidigungshaltung hervor und führen sicher nicht zur Einsicht, dass man ein Problem hat, dass man vielleicht nicht mehr alleine in den Griff bekommt - und niemand gibt schließlich gern zu, die Balance verloren zu haben und (fremde) Hilfe zu brauchen. Gerade Menschen, die anderen helfen wollen, können selbst oft nur schwer selbst Hilfe annehmen und mit der Situation fertig werden, Hilfe zu brauchen.
AUch wenn es für deinen Freund sicher schwer ist, den kühlen Kopf zu wahren, sollte er Vorwürfe unbedingt vermeiden. Er sollte versuchen, seine Situation zu erklären, ihr sagen, dass er zwar versteht, dass es ihr schwerfällt abzuschalten, dass ihr die Schicksale, mit denen sie Tag für Tag konfrontiert wird (und mit denen verglichen, die eigenen Probleme verschwindend gering erscheinen) auch abends und in der freien Zeit nachgehen. Dass ihm aber die gemeinsame Zeit mit ihr fehlt, indem ihre Partnerschaft, gemeinsame Interessen und Freude am Leben im Vordergrund stehen, dass ihn das traurig macht und dass er sich auch Sorgen um sie macht, schließlich fehlt da die Zeit, zu entspannen, neue Kraft zu tanken...
Ich wünsche deinem Freund da viel Ruhe und Kraft und ihm und seiner Frau, dass sie die Balance wieder finden!
Und dir und den beiden trotzdem Frohe Weihnachten!