@ # 9:
Die Dinge, die Du beschreibst, sind für mich zwei verschiedene. Im Rückblick kann sich herausstellen, daß man mit demjenigen, den man im Internet kennengelernt hat, seine große Liebe gefunden hat. Du beschreibst ja da eigentlich einen ganz "normalen" Verlauf des "Idealfalls": erst tauscht man mails aus, dann telefoniert man, dann trifft man sich mehrmals. Und jedes Mal wächst das Vertrauen ineinander, man lernt sich kennen und irgendwann verliebt man sich. Das ist es ja, was die meisten hier wohl suchen. Aber das hat sich dann ganz normal entwickelt - der einzige Unterschied zum "normalen" Leben ist eben, daß die Zeit des ersten Kontakts im Internet verlief.
Aber das, was Du zu anfangs schreibst, daß Liebesbekundungen vor dem ersten Treffen durchaus ernst zu nehmen seien, kann ich nicht nachvollziehen. Aus meiner persönlichen Erfahrung (habe bisher 8 Männer durch's Internet kennengelernt, der letzte ist jetzt mein Freund) könnte ich niemanden ernstnehmen, der mir vor dem ersten Treffen Liebesbekundungen machen würde. Man kann doch niemanden lieben, den man noch nie gesehen hat. (Wenn Du da anderer Meinung bist, haben wir schlichtweg völlig verschiedene Definitionen von "Liebe".) Man kann sich höchstens in die Idee, das Bild, das man sich von dem anderen durch mails und Telefonate gemacht hat, verknallen. Das ist aber nur eine Schwärmerei und dieses Bild löst sich nach meiner Erfahrung oft schon innerhalb der ersten Sekunden eines Treffens in Luft auf.
Bei meinen Dates war es so, daß der mail-Kontakt immer ähnlich verlief: Er lief so ca. 2 bis 4 Wochen und besaß eine gewisse Regelmäßigkeit. Wir haben uns so jeden oder jeden zweiten Tag geschrieben. Alle Männer, mit denen ich mich regelmäßig ausgetauscht habe, waren intelligent und gebildet. Der Inhalt der von uns ausgetauschten mails war teils ernsthaft, teils witzig - eine Mischung nach meinem Geschmack. Ähnlich liefen die Telefonate. Sie waren eigentlich immer locker, unverkrampft, teils ernsthaft, teils witzig - und verliefen ebenfalls immer nach meinem Geschmack. Im Prinzip wirkten alle Männer durch die mails und die Telefonate auf mich sehr ähnlich. Erst im persönlichen Treffen merkte ich, daß dahinter völlig verschiedene Typen stecken. Im Rückblick erkenne ich, daß ich durch die mails und die Telefonate lediglich ein paar grundlegende Faktoren an Gemeinsamkeiten gefunden habe, die überhaupt erst den Wunsch entstehen ließen, sich zu treffen. Es war also klar, daß die Basis gut genug ist, um sich zu treffen und ein paar Stunden miteinander zu verbringen, ohne daß es ein Desaster wird. Und so war es auch. Keines meiner Treffen war wirklich schlecht. Immer haben wir uns recht gut und interessant unterhalten - die Zeit war nie vergeudet.
ABER: erst im persönlichen Treffen zeigte sich, ob man wirklich auf einer Wellenlänge funkt. Und auch wenn meine Treffen alle ganz o.k. waren, so war doch einige Mal schon innerhalb der ersten Minuten klar, daß aus uns kein Paar werden wird. Bei meinem vorletzten Date war es so, daß nach den mails, dem Telefonat, den Grundkonstellationen eigentlich alles dafür sprach, daß wir wie füreinander geschaffen sein müßten. Ich hatte ein echt gutes Gefühl, war aber beileibe nicht verknallt oder verliebt - dafür bin ich zu realistisch und hatte schon zu viel Datingerfahrung. In dem persönlichen Treffen hat sich dann sehr schnell herausgestellt, daß wir alles andere als füreinander bestimmt waren - obwohl wir uns ganz gut unterhalten haben. Wenn jetzt er oder ich uns vorher Liebesbekundungen gemacht hätten, wären wir uns beim ersten Treffen zu Recht total dämlich vorgekommen.
Ich persönlich halte auch "Liebe auf den ersten Blick" für fragwürdig. Man kann sich vom ersten Augenblick an attraktiv finden. Und man hat vielleicht sofort den Wunsch, den anderen näher kennenzulernen und vielleicht hat man auch so ein unbestimmtes schicksalhaftes Gefühl. Aber erst später zeigt sich doch, ob sich daraus eine Liebe entwickelt hat. Denn Liebe ist ja nun weit mehr als körperliche Anziehung innerhalb der ersten paar Sekunden.