Meiner Meinung nach ist die Frage ein typischer Ausdruck für das soziologische Phänomen des "Fahrstuhl-Effekts": Die verzerrte Wahrnehmung, dass es nur noch abwärts geht.
"Früher" (Wann genau soll das gewesen sein? Vor 20 Jahren? 100? 250?) waren möglicherweise viel viel mehr Menschen single, als wir glauben.
Man darf nicht vergessen dass es in früheren Zeiten sehr handfeste materielle Probleme gab die die Menschen davon abhielten, langfristige Beziehungen einzugehen. Um zu heiraten, musste man erst mal für eine Familie sorgen müssen. Wurde früher der Bauernhof genau an einen von 5 Söhnen vererbt, dann mussten die anderen 4 sich erst mal durchschlagen: Als Knecht, Soldat, Tagelöhner - oder auf dem familieneigenen Hof mitarbeiten ohne diesen zu besitzen und somit konnten sie nicht heiraten. Die 6 Schwestern in der Familie mussten erst mal unter die Haube gebracht werden - aber wohl nicht alle, denn wer sollte sich denn gratis und franko um die alten Eltern, kleinen Kindern, Hühner und weiteres kümmern? Die daheimgebliebenen unverheirateten Schwestern. Ähnliches gilt sicher auch für andere Familienbetriebe.
Kriege reduzierten immer wieder die Auswahl an Männern zeitenweise ganz gewaltig.
Es gab auch früher ganze Kategorien von Menschen die eine "Karriere" einschlugen, weil dies zahlreiche Vorteile für sie hatte - Beziehung aber ausgeschlossen war: Priester, Mönche, Nonnen. Aber ev. auch in weiteren Berufen, war der gesellschaftliche Statuts so gestaltet und der Lohn zu klein, um eine Familie zu gründen: Wanderarbeiter, Landschullehrer, Gouvernanten...
Man darf auch nicht vergessen dass die Menschen früher z.T. tatsächlich weniger Möglichkeiten hatten, jemanden kennenzulernen. Sind alle Junggesellen aus dem Bergdorf oder der Kleinstadt vergeben und der nächste Ort eine Tagesreise zu Fuss oder per Pferdekutsche entfernt? Pech gehabt.
Auch galten "früher" teilweise strenge kulturelle Regeln die das Heiraten regulierten. Z.B. Die Söhne heiraten nicht, bevor die Töchter nicht unter der Haube sind usw. Gelang es aus irgend einem Grund nicht, das umzusetzen, konnte es dazu führen, dass eben gar nicht geheiratet wurde.
Ja und der Druck heiraten zu müssen wenn man Sex haben wollte (weil dann ein Kind kam) fällt heute tatsächlich weg. Diese ganzen von mir aufgezählten Menschen hatten wohl aber früher teilweise ähnlich "unverbindlich" Sex wie das heute gern beklagt wird.
Wir messen uns heutzutage an der Baby-Boomer-Generation unserer Eltern. Vielleicht würden wir unser Liebesglück gescheiter mit dem unserer Urgrosseltern vergleichen um die Perspektive etwas auszugleichen.