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  • #1

Wie gewinnt ihr Gelassenheit im Leben? Im Anhang eine Sage.

Ein Mensch ist unterwegs zum Land seiner Sehnsucht. Es ist eine lange und beschwerliche Reise.Endlich kommt er an einen breiten Fluss. Er weiß, drüben am anderen Ufer, liegt das Land der Herrlichkeit und er kann es kaum erwarten hinüber zu kommen. Er findet einen Fährmann, der bereit ist, ihn mit seinem Boot so schnell wie möglich überzusetzen. "Aber" sagt er "du mußt Dein Gepäck hier lassen. Ich nehme nur die Menschen mit ohne Ballast". Der Reisende erschrickt sehr. Es scheint ihm unmöglich, alle Dinge, die er angesammelt hat, die er liebt, die er für lebensnotwendig hält, die er auf seiner weiten Reise mühsam bis hierher geschleppt hat, einfach abzulegen und am Ufer des Flusses zurück zu lassen. "Alles"? fragt der Mensch, hoffend, doch ein wenig seiner Habe mitnehmen zu können. "Alles. Ich nehme nur Dich mit mit. Entscheide dich", antwortet der Fährmann ernst. Ich denke Gelassenheit hat mit Verzicht zu tun, freue mich auf eure Antworten, liebe grüße, w,47
 
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  • #2
Oui, oui, das macht schon Sinn, bzw., in einem zwangsläufig zu akzeptierenden Verzicht den Sinn und das Positive für sich erkennen zu können und dann dankbar dafür zu sein....andererseits muß man aufpassen, daß man nicht nur im Verzichtsbewußtsein lebt, also sein Gepäck zu schnell und immer am Ufer zurückläßt.
Cicero
 
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excuse-me

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  • #3
Tja, ich möchte nicht in das Land der Herrlichkeit. Ob mit oder ohne meine Habe, an der ich sowieso nicht sonderlich hänge.
Das Land der Herrlichkeit - eine zeitlang ganz schön, aber auf Dauer? Kein auf und ab mehr - hört sich langweilig an ... hmm.
Gelassen sein ob des täglichen Lebens kann man auch sein, obwohl man "Ballast" mit sich rumschleppt. Und wenn mir die Gelassenheit mal abhanden kommt - die findet sich auch wieder an.
 
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  • #4
Nein, das sehe ich völig anders. Alle diese Dinge, die ich zurücklassen müsste, haben mich geformt, mich zu dem gemacht, was ich bin. Jedes Erlebnis, egal ob traurig oder schön, lustig, nervig, oder oder oder ist ein Teil von dem, was ich bin. Ich kann und will nichts davon zurücklassen oder vergessen.
Gelassenheit ist nicht, sich selbst zu vergessen. Gelassenheit heisst, sich selbst und all das, was man ist, anzunehmen. Das mag schwerer sein, als einfach alles zu vergessen und zurückzulassen, aber immer nur den einfachen Weg zu wählen ist halt leider nicht möglich. Ich würde zu dem Fährmann sagen: "Nun gut, dann werde ich den Fluß auf einem anderen Weg überqueren, und wenn ich schwimmen muß. Aber ich werde nicht mich selbst hier zurücklassen."
 
  • #5
Nein, also der Ansatz ist mir zu schuldbeladen, sozusagen zu katholisch-freudlos. Verzicht führt zu Gelassenheit? Inwiefern sollte er das tun? In meiner Erfahrung absolut unzutreffend.

Sicherheit, Geborgenheit und die Zuversicht, auch morgen sein Leben bestreiten und genießen zu können, die Abwesenheit von existentiellen und sonstigen bedeutenden Sorgen: All das führt bei mir zu Gelassenheit.

Ich möchte nicht all das hinter mir lassen, was ich mir erarbeitet habe, auf das ich stolz bin, das mir Sicherheit und Zuversicht gibt. Weder Freundeskreis und Familie, noch Hab und Gut, noch Job und Reputation.

Und brauche ich ein Land der Herrlichkeiten? Nein, denn das hätte nicht einmal den Reiz, es selbst erarbeitet zu haben oder wichtiger Teil des eigenen Lebens zu sein. Ich möchte *mein* Leben, hier und jetzt. Nicht irgendeine eine paradiesische Verheißung.
 
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  • #6
Von mir gibt´s auch ein denkwürdiges Gschichterl, das wiederum den oft erlebten Widerspruch von Wunsch und gleichzeitigem Verzicht auf diesen Wunsch aufzeigt:
In einem Land gab es eine riesige Überschwemmung.
Ein Mann rettete sich, als die Fluten kamen, auf das Dach seines Hauses.
Das Wasser stieg immer höher, da schwamm ein großer Tisch heran und der Mann sah, daß er ihn mühelos zu sich heranziehen konnte.
Er dachte, nein, Gott wird mich retten, und der Tisch schwamm vorbei.
Es näherten sich Leute in einem Boot, warfen dem Mann eine Leine zu und riefen ihm zu, zu ihnen in das Boot zu kommen.
Er warf die Leine zurück und rief: "Nein, nein, danke, Gott wird mich retten..."
Das Wasser war mittlerweile bedrohlich angestiegen, schon überstieg es das Dach.
Plötzlich erschien ein Hubschrauber, man ließ dem Mann eine Strickleiter hinunter und rief ihm zu, heraufzuklettern.
Der Mann rührte sich nicht, dachte, Gott wird mich retten, der Heli verschwand, das Wasser stieg und der Mann ertrank.
Im Himmel angekommen, trat er vor Gott und überhäufte ihn mit schweren Vorwürfen, daß er ihm vertraut hätte und dieser ihn nicht gerettet hätte.
Gott kratzte sich am Kopf und sagte: "Ich verstehe Dich nicht...ich hatte Dir einen Tisch, ein Boot und einen Hubschrauber geschickt...."
Viel Spaß damit,
der Geschichtenfuchs
 
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VirginiaWoolf

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  • #7
BALLAST lasse ich gern hinter zurück, das ist kein Verzicht sondern eher befreiend auf dem Weg in das "Land der Sehnsucht". Das was mir lieb und wichtig ist möchte ich gern dahin mitnehmen.
Das "Land der Sehnsucht und Herrlichkeiten" gestalte ich mir selbst, gern lasse ich mir dabei helfen, gern möchte ich Begleitung, aber keinen Fährmann, der mich absetzt und wieder umkehrt.
Virginia
7E20CD34
 
  • #8
@#4: Volle Zustimmung, so habe ich das auch gemeint und so fühle ich auch über mein Leben.

@#5: Genau -- viele vergessen, dass sie selbst aktiv werden müssen und blindes Vertrauen auf ein Land der Herrlichkeiten einfach nur ein Glaube ist, der ins Verderben führt. Unser Leben müssen wir selbst leben, statt auf Herlichkeiten zu hoffen, die doch nur Verheißung bleiben werden.
 
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  • #9
siri

und es gibt ein Indianersprichwort, das sagt:
"Die andere Seite des Flusses ist immer die Schönere"

und manch einer ist schon ertrunken, weil er bis zur Erschöpfung hin- und hergeschwommen ist
- mein Beitrag dazu.

In jeder der Geschichten und Sprichwörter ist eine Wahrheit - aber nicht für jeden.
 
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  • #10
Mit dem Glück ist es wie mit dem Regenbogen, man sieht es nur über des Nachbarn Haus.
 
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  • #11
Vor über 30 Jahren saß ich in diversen DDR-Gefängnissen. Zuvor hatte ich selbstständig in Leipzig gelebt, dort in der Wohnung sehr viele Bücher, Schallplatten usw. Im Gefängnis gehörte mir nichts - nicht einmal mehr die Haare auf dem Kopf. Die hatte ich wegen des Stress verloren. Ich wurde dann von der Bundesregierung abgekauft, hatte nur die Kleidung auf dem Leib und kam so in das Land der Herrlichkeit. Ich fand es nicht schlimm, dass ich Nichts hatte. Zuvor war ich ent-DDR't worden, jetzt fühlte ich mich wie ein ausgetrockneter Schwamm, der nur noch aufnehmen konnte. Ich bin einen geradlinigen Weg gegangen und keinem etwas schuldig. Nicht einmal der Bank. Durch meine Lebens-Erfahrung geprägt könnte ich die Sahara umschaufeln oder einen Apfelbaum in den Anden pflanzen. Ich käme überall zurecht - vor dem Ballast-Abwurf hätte ich keine Angst. Es ist eine schöne Fabel. Sie drückt auch aus, dass das letzte Hemd keine Taschen hat. 7E1FB12A
 
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  • #12
@#10: .... GENAU SO sehe ich das auch. Meine Erfahrungen waren zwar grundlegend anders als die Deinigen (ich bin Wessi), aber unser beider Erfahrungen hatten ja auch mit Not und (drohendem) Tod zutun. Während Du als ehemaliger Stasi-Häftling ständig um Dein Leben fürchten musstest, habe ich die Begegnung mit dem Tod bereits zum zweiten Mal hinter mir. Das erste Mal freiwillig, als mir eine Lebensperspektive (mehr möchte ich jetzt dazu nicht sagen) komplett weggebrochen ist, das zweite Mal durch eine OP bedingt, die ich gerade noch überlebt habe.
Nach Not und Tod und vielleicht daraus resultierender "Kernschmelze" ist ja auch nichts mehr so, wie es vorher war. Wie Du denke auch ich ja nicht mehr so unbedingt in den Kategorien von Lebenssicherheiten, die es so nicht gibt. Und den Gedanken daran aufzugeben, darum geht es ja letztlich in dieser Geschichte, um unvoreingenommen vielleicht etwas ganz Neues anzufangen. Der breite Fluss markiert ja eine gewaltige Zäsur in der Landschaft des Lebens und der Reisende kommt in der Geschichte damit an einen Punkt, an dem es für ihn nicht mehr weiter geht und den er überwinden muss, um an sein ersehntes Ziel zu kommen. Dazu muss er sich aber einer völlig anderen Lösung bedienen, bei dem ihm seine bisherigen Erfahrungen nicht mehr weiterhelfen. Sie würden ihn erstens nur hemmen und zweites würde er damit in dem Boot (seine einzige Möglichkeit), dass ihn über den Fluss bringen soll, nur hoffnungslos untergehen.
Hemmen würden sie ihn ebenso, da das Boot zumindest eheblich von seinem eigentlichen Ziel von der Strömung des Flusses abgetrieben würde. Und sein weiter bisheriger Lebensweg wäre dann ganz umsonst gewesen und das ist der Grund, warum der Fährmann, der ihn über den Fluss bringen soll, keine Diskussion zulässt. Wenn es keine andere Lösung zur Erreichung eines bestimmten Zieles gibt, muss man sich also nach der Art der Lösung richten, nicht umgekehrt! Je beschränkter die Anzahl der Lösungen, desto strikter das "Entweder - Oder" und damit die Konsequenz der Entscheidung, was ihm der Fährmann ja in aller Deutlichkeit sagt.
Um etwas Neues anfangen zu können, muss man halt manches Alte hinter sich lassen und keine Angst vor Veränderungen haben. Nichts anderes sagt diese Fabel.
@#7: Wenn Du am Ziel Deiner Sehnsucht angekommen wärest, würdest Du denn tatsächlich wieder in Dein altes Leben und Deinen alten Zustand wieder zurück wollen? Wohl eher nicht, abgesehen davon würde es Dir die Zeit unmöglich machen. Das weiss der Fährmann ja auch und braucht ja nicht mehr zurückzukommen, oder?

T(43)
 
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  • #13
Schließe mich #3 an. Das klingt zu sehr nach dem Wort zum Sonntag. Geben ist besser ...
 
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VirginiaWoolf

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  • #14
@#11, für mich müsste er nicht zurückkommen, wenn der Fährmann ER ist, dann möchte er bitte mit mir gehen.
Doch der Färmann fährt zurüch an das andere Ufer wo er vielleicht sein "Land der Sehnsucht" hat oder um wieder jemanden über den Fluss zu fahren, er ist eben Fährmann. so meinte ich das, vielleicht zu viel der Philosophie ;-)
 
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  • #15
@13 (bin 11): ... Du brauchst ihn, um über den Fluss zukommen und danach musst Du ohne ihn zurechtkommen; er wird dann Beides nicht mehr tun, da er dann seine Aufgabe bei Dir erfüllt hat. Das heisst aber nicht, dass Du an Deinem Ziel allein sein musst (es sind ja noch andere Menschen da, zumindest in der Geschichte...)
...nicht zuviel der Philosophie :) ...
@Fragestellerin:
Gelassenheit bedeutet hier wohl, Altes loslassen zu können um auf Neues nicht verzichten zu müssen...
 
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  • #16
Danke, Fragestellerin für die wunderbare Geschichte, weil richtige Geschichte, wie das Leben sie schreibt.

#10 und #11 berichten davon.

Ich kenne das auch. Mehrfach erlebte ich, dass nur dann, wenn alles zurück gelassen wird, diese große Freiheit (des Neulandes) sich ereignen kann. Das kann aufregend schön sein, aber auch entsetzlich eng. Je nachdem, wie die "Geburt" eben vor sich geht.

Ich kenne eine ähnlichen andere Geschichte, die dazu passt:

Kommt ein intellektueller, erfolgreicher Mensch zum Zenmeister, um von ihm Wissen und Erleuchtung zu erlangen. Er wird zum Tee eingeladen und der Meister gießt Tee in die Tasse des Besuchers (oder der Besucherin) und gießt und gießt - die Tasse ist voll, der Tee läuft schon über, noch immer gießt der Meister ein.
"Was tust du da?" ruft der Geschäftsmann, "die Tasse ist doch längst voll!!"
Worauf der Zenmeister lächelt:"So ist es mit dir. Wie willst du irgend etwas aufnehmen, wo du doch voll bist bis obenhin. Mach deine Tasse leer, dann hat Vieles Platz, was ich dir schenken kann."

Die leere Tasse, das zurück gelassene Gepäck, nackt sein um neu eingekleidet zu werden... viele Bilder gbt es in den unterschiedlichen Kulturen, dass nur dann wirklich etwas geboren werden kann, wenn anderes dafür zurück gelassen wird.

Das könntest doch du, Frederika, ganz besonders gut verstehen. Bist nicht du die glühende Verfechterin der vollständigen Verarbeitung vorheriger Liebesbeziehungen vor der nächsten. Sind für dich nicht "Altlasten" ein No-Go? Na also! Das ist doch dein Original-Überzeugungs-Ton - - und von wegen katholisch.
 
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  • #17
Für mich stellt sich die Frage, was bringt mich aus der Gelassenheit oder was läßt die Gelassenheit erst gar nicht zu.

Sind es nicht solche Gedanken wie:
Ich muss so oder so sein, um anerkannt zu sein.
Ich muss mich so verhalten, um geliebt zu werden.
Ich muss diesen Erfolg vorweisen können, um bestehen zu können.
Ich muss besser, schneller, klüger sein, als andere, damit man mich bemerkt.
Nur wenn ich so oder so bin, bin ich eine liebenswerte Frau, ein liebeswerter Mann.
Nur wenn ich alles richtig mache, fleißig, ordentlich und nett bin, werde ich geliebt.

Diese Überzeugungen führen zu einem enormen Streß, den wohl viele von uns kennen und dem wir uns immer wieder aufs Neue aussetzen.
Streß ohne Ende, um anerkannt und geliebt zu werden.

Gelassenheit kommt dann, wenn ich mich von diesen Überzeugungen frei mache und aufhöre, immer nur zu funktionieren, weil es anscheindend irgend jemand anderes von mir so erwarte.
Gelassenheit kommt dann, wenn ich mich mit all meinen Stärken und Schwächen erst selbst annehmen kann und mich trotz meiner Unzulänglichkeiten auch als wertvoller Mensch fühle.

Wir nehmen unsere Erfahrungen mit, lassen aber die alten Überzeugungen am Ufer zurück und öffnen uns für neue Überzeugungen und Denkgewohnheiten.

Wenn das alte Denken uns von der Gelassenheit fern gehalten hat, müssen wir hier eine Veränderung vornehmen und das alte "Gepäck" zurücklassen.

Also ist doch die Frage: was hält Euch von Eurer Gelassenheit ab??
w,41
 
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  • #18
siri
#16
mangelnde Lernfähigkeit?

es gab in meinem Leben Zeiten in denen ich alles richtig machen wollte, und mich darum bemüht habe, so zu sein, wie man mich gerne hätte. Es hat nicht geklappt. Und es hat mich unglücklich gemacht. Jetzt habe ich ein Leben, das nicht bei allen Begeisterung auslöst, aber es geht mir fast immer gut damit.

Vielleicht muß man die Schienen, auf denen das Leben läuft, einfach mal verlassen (manchmal entgleist der Zug auch einfach) und neue Wege ausprobieren. Erst dann wird klar, ob man sich auf den Schienen, auf einer Rennstrecke oder auf einem Waldweg oder auf der Bundesstraße wohlfühlt. Ich bin der Fußgänger-auf-einem-Waldweg-Typ. Ich möchte riechen, Baumstämme anfassen und das wechselnde Licht anschauen. Auf einer Rennstrecke habe ich nur Streß und auf Schienen kann ich weder meinen Weg, noch mein Tempo bestimmen.
 
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  • #19
#16 danke für den schönen Beitrag. Die Gedanken die du beschreibst kenne ich auch und die muss man loslassen. Es ist dann wie ein Teufelsrad, dieses ich muss......Liebe zu Bedingungen.
Gelassen wird man nur durch loslassen von Erwartungen.
 
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