Liebe Lea. Zunächst sei gesagt, dass es unserer archaischen Programmierung, unserem Überlebenstrieb entspricht, das Alleinesein zu meiden, denn das war evolutionsbiologisch lebensgefährlich im wahrsten Sinne des Wortes. Überleben war in der Gemeinschaft einfacher und so sind wir programmiert, die Gemeinschaft anderer zu suchen.
Noch nie hat es eine Generation wie unsere gegeben, in der das Individuum recht komfortabel alleine leben kann, wenn da nicht unsere archaischen Programmierungen Alarm schlagen würden.
Verstärkt kann das noch durch individuelle Ängste werden. Ein Kind, das keine verlässlichen Bezugspersonen hatte kann auch existenzielle Ängste durchleben. Wie ich als Kleinkind, als mich meine Eltern zu meiner Tante gebracht haben, weil meine Mutter arbeiten gehen wollte. Ich bin dort nachts aufgewacht, habe nichts gesehen und wusste nicht, wo ich bin und habe auch gleich ins Bett gemacht.
Genau die gleichen Emotionen sind in mir angesprungen, als ich mal auf meinen Partner gewartet habe und er sich erheblich verspätet hat, weil er im Stau stand und kein Handy dabei hatte. Fand ich einerseits lächerlich für eine Frau mit 50 Jahren. Da stand wieder das kleine Mädchen mit einem Verlassenheitsszenario.
Aus dieser Programmierung heraus habe ich unter den beiden Trennungen, die ich in meinem Leben durchleben musste, noch mal ganz anders gelitten, als es "normale" Menschen tun. Nicht einmal, weil die Männer weg waren, bei einem war ich sogar froh.
So habe ich entschieden, diese Ängste zu akzeptieren. Ich bekämpfe sie nicht mehr. Ich lebe mit ihnen, so, wie ein Rollstuhlfahrer mit seinem Rollstuhl leben muß. Und ich verbessere mich immer mehr. Es soll ja Rollstuhlfahrer geben, die sogar fast schon virtuos damit umgehen können, die "besser" sind als Fußgänger.
Und ich habe mich entschieden, dieses Handicap mit anderen Fähigkeiten zu kompensieren. Ähnlich wie die Blinden, denen man nachsagt, sie würden besonders gut hören. Ich bin ÄUSSERST lebenstüchtig, ausdauernd, durchhaltefähig und und und. Alle Eigenschaften, die man braucht, um sich alleine durchzuschlagen, sind bei mir enorm ausgeprägt und so weiss ich einfach, dass ich mich immer auf mich werde verlassen können. Das gibt mir auch eine gewisse Beruhigung.
Ja, ich habe einen Partner und das Glück eine wunderbare Beziehung erleben zu dürfen. Und nein, damit ist mein Problem nicht gelöst und ich bin auch nicht gerettet. Denn meine Angst vor dem Alleinesein hat sich in eine starke Verlustangst gewandelt. Damit will ich Dir sagen, dass Du Dein Problem noch lange nicht gelöst hast, wenn Du nicht mehr alleine bist. Denn es ist in Dir und von äusseren Umständen kaum beeinflussbar. Viel Glück.