Liebe Fragestellerin,
ich musste fast lachen, als ich deine Problemschilderung gelesen habe. Das kam mir so bekannt vor, hätte die Beschreibung meines Sohnes von vor 4 Jahren sein können. Er hatte auch noch nie glernt, hat das Klassenziel immer so mit Hängen und Würgen doch noch so erreicht bis, ja bis zur 10. Klasse. Da war es dann passiert: Er musste das Jahr wiederholen. War ihm auch noch egal, kein Bock auf nix und Schule schon mal gar nicht. Freunde waren wichtiger, Fußball war wichtiger, Mädels usw., allerdings hat er kaum am PC gesessen. Dann hat er das Wiederholungsjahr wieder nicht geschafft. Der einzige Weg zum Schulabschluss war, an eine Mittelschule zu wechseln und dort die 10. Klasse zum dritten Mal zu machen.
Du kannst dir sicher vorstellen, wie mich das alles mitgenommen hat! Ich sah ihn schon in der Gosse, als totalen Versager! Und ich hab mich immer gefragt, was ICH falsch gemacht hatte!
Und dann kam der Wechsel zur Mittelschule. Und nach nur einer Woche sagt mein Alles-Egal-Kind zu mir: "Weißt du Mama, ich will jetzt doch Abi machen. Die in der Klasse sind ja alle nett, aber mit denen kann ich mich einfach nicht unterhalten. Und wenn ich mir vorstelle, auf diesem Niveau mein Leben zu verbringen, ne!" Tja, und von dem Tag an hat er zumindest erstmal so viel gelernt, dass es für den Zugang zum Beruflichen Gymnasium gereicht hat. Da ist er (inzwischen 20) jetzt im letzten Jahr, steht kurz vor den Abiprüfungen. Und kaum zu glauben: Von dem Moment an, wo die Punkte fürs Abizeugnis zählten, wurde der Kerl zeitweise fast zum Streber - jedenfalls für seine Verhältnisse, steht in fast allen Fächern zwischen 12 und 15 Punkten. Manchmal kann ich es immer noch nicht so recht glauben...
Und weißt du, was der entscheidende Moment war? Das war der Schritt vom "meine Mama will" hin zum "ICH will!"
Vertraue deinem Sohn. Gestehe ihm die Eigenverantwortung für sein Leben zu, die er hat. Er muss SEINEN Weg finden. Und er WIRD seinen Weg finden, auch wenn der vielleicht bisschen anders ist als du erwartest und erhoffst. Hör auf, dich an Dingen abzuarbeiten, die du nicht ändern kannst. DU kannst IHN nicht ändern, höchstens erpressen, kaufen, zwingen. Willst du das? Mach dir klar, dass es viele mögliche Wege zum Glück und auch zum beruflichen Erfolg gibt. Und nicht jeder dieser Wege verläuft gerade - eher im Gegenteil.
Heute würde ich eher und gelassener nach anderen Schulmöglichkeiten schauen. Man klammert sich so sehr ans Gymnasium, dabei ist ein ordentlicher Mittelschulabschluss eine durchaus brauchbare Eintrittskarte für viele Berufswege, und auch zum Abi.
Verschwende deine Energie nicht in sinnlosen Erziehungskämpfen. Was da bis jetzt evtl. schief gelaufen ist, kannst du sowieso nicht mehr rückgängig machen, und für anderes ist es zu spät.