Mein (einziger) Bruder ist nur ein Jahr jünger. Wir sind sehr verschieden. Er ist schüchtern, introvertiert, konservativ, aber ein intelligenter, habilitierter Vollblut-Wissenschaftler, verheiratet, drei Kinder. Ich bin extrovertiert, selbstbewusst, sprunghaft, arbeite Teilzeit im unkonventionellen Traumjob, bin ledig und kinderlos.
Schon als Kinder konnten wir wenig miteinander anfangen, hatten sehr unterschiedliche Temperamente und Interessen. Wir haben nicht viel gestritten, nur wenn es für uns beide etwas gab (Geschenke, begehrtes Essen ect.), herrschte viel Geschwisterneid, jeder achtete genau darauf, dass der Andere nicht mehr bekam. Meine Mutter hat damals HonigPops oder Schokoeier sogar abgewogen...
Mein Bruder war das Mammakind, ich das Papakind, das war also ausgeglichen. Für meinen Bruder war es sicher frustrierend, dass ich als Ältere immer "Erste" war. Einschulung, Abitur, Studium, Promotion ect., bei mir war es was Besonderes, bei meinem Bruder dann halt nicht mehr ganz so.
Seit wir im Studium in verschiedene Städte zogen, war der Kontakt nur noch marginal, man traf sich halt alle 1-2 Jahre mal bei den Eltern. Gesprächsthemen hatten wir dann schon, wenig Privates, aber wir haben den gleichen Beruf (da ich weniger weitergebildet bin, als er, hatte ich immer sehr viele fachliche Fragen, die er auch gerne beantwortete) und unterhielten uns gerne über Aktien ect.
Seit er 1994 heiratete, lebt er nur noch 200 km entfernt und kommt 2-3 mal im Jahr mit Familie in meine Stadt, weil seine Schwiegermutter hier lebt. Obwohl ich ihn oft eingeladen habe, hat er mich in diesen 20 Jahren niemals besucht. Er hat mich aber auch nie zu sich eingeladen, was mich schon traurig machte. Meine Nichten habe ich insgesamt nur 5 mal bei Familientreffen gesehen -sehr schade!
Als unser Vater 2006 starb, hat mein Bruder mir wegen des Erbes den Krieg erklärt. Er hat wegen unterschiedlicher Immobilienwerte deutlich mehr geerbt hat, als ich, bedrängt aber unsere Mutter, ihm auch von ihrem Erbe mehr zu geben, weil er ja Kinder hätte und ich nicht. Dabei sind wir beide finanziell extrem gut gestellt und bräuchten beide das Erbe nicht. Ich bin mir nicht im Klaren, ob es ihm wirklich um das Geld geht (er war zeitlebens schon sehr "geldgierig" und sparsam), oder ob die Erbschaft für ihn als Ersatz für Mutterliebe steht. Nun ja... jetzt reden wir nur noch miteinander (bzw. schreiben eMails), wenn was mit unserer betagten Mutter ist. Vor meiner Mutter redet er sehr schlecht über mich.
Ich bin über diese Situation sehr traurig, habe für meinen Bruder aber weiterhin sehr positive Gefühle. Er tut mir unendlich leid, daß er sich wegen der Erbschaft so in seinen Hass gegen mich verrannt hat, daß er mir wörtlich den Tod wünschte. Ich kann meinen Bruder nicht zwingen, mich zu lieben oder auch nur zu treffen. Aber für mich ist und bleibt er mein Bruder, auf den ich wegen seiner Leistungen als Wissenschaftler und Familienvater echt stolz bin.
w 52