Hallo Fragestellerin,
um Missinterpretationen vorzubeugen: ich bin treu und ich schätze Treue.
Schaue ich zurück, so hat sich aber meine einst krasse Einstellung sehr verändert:
Mit 14: Männer, die fremd gehen gehören gehängt, ausnahmslos, es gibt keine Entschuldigung dafür, auch kein Suff, nichts.
Mit 20: dto.
Mit 25: bin ich das erste Mal in einer vierjährigen Beziehung betrogen worden und habe es "erahnt", die "Tat" wurde jedoch nicht gestanden. Ich habe aus lauter Liebe nicht Schluss gemacht und mich im großmütigen Verzeihen geübt. Dachte, das sei der Mann fürs Leben, große Liebe, all das.
Blöd gelaufen, denn nun konnte ich ja nicht mehr an meiner bisherigen "Kopf-ab Einstellung" festhalten.
Die Beziehung erledigte sich binnen kurzer Zeit trotzdem, da einfach die Luft raus war - eben der Grund für sein Fremdgehen, welches er am Ende auf Nachfrage auch gestand.
Beobachtung: alle seine späteren Partnerinnen wurden auch betrogen, er entwickelte sich in diesem Alter gerade zum notorischen Fremdgeher. BTW: Das war in Zeiten vor AIDS-Bewusstsein.
Mit 26-35: Ich habe Partner oder potentielle Partner möglichst bei kennen lernen nach ihrer Einstellung zur Treue gefragt. Es war mir ganz ganz wichtig. Singles, die alleine Thailandreisen unternahmen sortierte ich in eine bestimmte Schublade usw.
Ich wurde seither wissentlich nicht mehr betrogen.
Ich habe dann sehr nahe miterlebt, wie eine Freundin ihre Beziehung durch völlig unbegründete Eifersucht kaputt machte - die hatte sich meine einstige Einstellung der 14-jährigen bewahrt, bis sie 39 war. Der arme Mann ... man könnte auf den Gedanken verfallen, dass, wenn er sowieso schon beim Gucken schuldig war, er es genauso auch hätte tun können ...
Ich fand sie krank in ihrem Verhalten und bin dankbar, dass ich das von außen beobachten durfte - also diese Erfahrung nicht selbst machen musste.
Seit ~ 36: etwas, auf das ich nicht näher eingehen möchte (es hatte nichts mit einem Mann/Partner zu tun) hat mein Leben und Denken völlig verändert. Ich nenne es mal "Persönlichkeitsentwicklung", ausgelöst durch ein bestimmtes Ereignis, willentlich und aktiv fortgesetzt bis heute.
Seither habe ich Treue in Partnerschaft bzw. daraus resultierender Ehe schlicht vorausgesetzt, und die Haltung meines Partners zu diesem Thema erspürt, wie ich alles erspüre, was passt und was nicht passt. Und habe gelernt: auch eine treue Ehe kann scheitern.
Ich stehe inzwischen auch bei diesem Thema in meiner Mitte und eben nicht an irgendeinem Pol zwischen Kopf ab und Freibrief.
Wenn ich es mir aussuchen kann, dann möchte ich treu sein und wünsche mir, dass mein Partner treu ist. Ich weiß aber auch, dass Treue eine Einführung der Zivilisation ist. Und dass Partnerschaften nicht immer im Stadium des Himmels auf Erden sind. Dass es Höhen und Tiefen gibt, vor allem, dass es noch ganz andere Verletzungen gibt, als "bloß" Untreue. Ich bin da viel gelassener geworden.
Ich weiß, dass es Lernaufgabe eines jeden Menschen ist, ein "anders sein" zu verstehen und nicht zu verurteilen. Das heißt nicht, dass ich mich mit untreuen Partnern abfinden muss, aber ich habe für mich entschieden, sie nicht zu verurteilen. Das gilt Männer und Frauen, für Verheiratete und nicht Verheiratete, für Väter, für Mütter. Eine Verurteilung steht mir auch einfach nicht zu, schon gar nicht in der Theorie.
Diese Haltung bewahrt mich davor, dass ich irgendwann in eine Situation gerate, in der ich selbst untreu werde und mein eben noch polarisierendes Weltbild gerade rücken müsste.
Und weil ich folglich diese Kennenlern-Fragerei Bist du auch wirklich wirklich treu" nicht mehr zwanghaft verfolge, verlasse ich mich gelassen auf meine Intuition bei der Partnerwahl. Bestimmt nicht auf Schwüre oder Eheringe.
Sollte ich in Zukunft jemals dennoch betrogen werden, dann entscheide ich dann, wenn es soweit ist, in der jeweiligen Situation, was ich tue. Ich könnte momentan überhaupt nicht sagen, wie ich reagieren würde. Ein neuer Partner muss also bei mir damit klar kommen, dass zwischen Trennung und Verzeihen eine 70:30, 50:50 oder aber eine 30:70 Chance liegt und das ich Treue nicht explizit verlange, er muss sie aus sich heraus leben, es ist keine Hausaufgabe, die ich ihm stelle, sondern eine Wahlmöglichkeit. Meine Wahl, wie ich leben möchte habe ich getroffen.
So gesehen, liebe Fragestellerin finde ich irgendwelche verbindlichen Aussagen zur Treue & Co. VOR einer Partnerschaft ziemlich nebensächlich, es kommt einzig darauf an, was man miteinander davon tatsächlich lebt - über all die Jahre hinweg.
Liebe Grüße
Mary, w 47